7. April 2011 bis 14. Mai 2011

Séléction cuvée

Das gemeinsame Ausstellungsprojekt von o.T. Raum für aktuelle Kunst und sic! Raum für Kunst


Séléction cuvée – 5 plus 1 Kunstschaffende aus der Zentralschweiz

Haudegen der neuen Narrative – Camillo Paravicini

Das Stillleben einer Gurke die entspannt, glänzende schwarze „Hotstones" auf dem Bauch gibt sie sich dem Müssiggang hin; Eine Fotografie sich ineinander drängender Ballons; Zwei mit Warzen bunt glasierte Gestalten, von denen man nicht weiss, aus welcher Sphäre sie zu uns auf die Erde gereist sind;
Meine Wahl für „Sélection cuvée" fiel auf Camillo Paravicini, weil mir sein Ideenreichtum, die Art und Weise wie er den Betrachtenden eine Geschichte oder Bruchstücke davon vor die Füsse wirft, entspricht. Es vergehen einem Hören und Sehen: Es knallt und rührt an, Verweise ins Gestern und Heute tanzen Cha-Cha-Cha – und trotz des Feuerwerks sind die Details in der Ausführung fein und voller Sorgfalt. Seine fotografischen, malerischen und installativen Arbeiten werden vervollständigt durch die BetrachterInnen und deren Beteiligung an der Narration, die sich, sofern man sich darauf einlassen mag, in jede Richtung verzweigen kann. Einzuordnen ob heiter oder melancholisch ist eine Möglichkeit, sich den Ideen des Künstlers anzunähern. Vermutlich ist diese Einstufung zu einfach und erübrigt sich nach eingehender Betrachtung – oder spätestens dann, wenn sich das Lachen in Tränen verfängt.
Autorin: Nadine Wietlisbach

 

Giacomo Santiago Rogado

Die abstrakten geometrischen Formen schlingen sich in sanften Wellen über die Leinwände und werden räumlich. Minutiös aufgetragene Farbe verläuft stufenlos in einen anderen Farbton über und erzeugt so ein Flimmern, dem man sich kaum entziehen kann. Die Bilder geraten in Bewegung und beginnen vor der Wand zu schweben und dies selbst in grosser Dimension.
Diesem faszinierenden Zauber der Leichtigkeit stellt Giacomo Santiago Rogado ein den Betrachter fixierendes Augenpaar gegenüber. Es schaut eindringlich aus einer vermeintlichen Öffnung in der Leinwand hervor, unfassbar und schwerelos, und trotzdem fügt es sich, als ob es nirgendwo anders hingehörte, als Zentrum in die Werkserie ein.
Gerade dieser Kontrast zwischen optischer Illusion und figürlicher Darstellung ist es, was mich bei den Arbeiten von Giacomo Santiago Rogado in den Bann zieht. Der Künstler versteht es, widersprüchliche Bildinhalte aus realer und surrealer Welt zu einer Einheit zu verschmelzen.
Autorin: Romy Lipp

Markus Uhr

Dem Gral, diesem rätselhaften kelchartigen Gegenstand aus der mittelalterlichen Artussage, hat Markus Uhr ein eindrückliches Monument erstellt – ein höchst gegenwärtiges allerdings, bestehend aus mehreren aufeinander gestapelten gebrauchten Autoreifen. Profaner wurde die mythische Sagenwelt kaum je beschworen.
Markus Uhr entdeckt im Alltag das Poetische, seine Fotografien und Collagen erfassen Dinge, halten reale Konstellationen fest, über die unsere Wahrnehmung für gewöhnlich hinwegsieht. Oder er transformiert – wie in den Plattencovers – das Vertraute dergestalt, dass sich jener Moment der Irritation einstellt, der uns die Welt fremd erscheinen lässt.
Dem Schaffen dieses „Flaneurs zwischen den Dingen" begegne ich seit vielen Jahren immer wieder, in Basel, Zürich oder Leipzig – und es hat mich stets genauso fasziniert wie irritiert. Die Eröffnung des neuen Kunstpavillons scheint mir die ideale Gelegenheit für eine Zusammenarbeit – und für eine eingehende Auseinandersetzung mit einem ebenso vertrauten wie rätselhaften Werk.
Autor: Konrad Bitterli

Cécile Wick

Wenn die Gravitationskraft  eines Werkes stärker ist als die Fliehkraft des Alltags oder weshalb ich mich für die Arbeit von Cécile Wick entschieden habe:
Da ist nichts Spektakuläres, nichts Aufgeregtes, nichts Konstruiertes. Weder Sensationen noch Tagesaktualitäten. Da sind Berge, Wasserfälle oder Meere. Bäume die blühen, Sträucher im Winter. Bilder, die nichts vorgeben und nichts zurückhalten. Es sind einfache und schöne Bilder. Sie sind unaufdringlich und fordernd zugleich. Bilder, die Zeit haben.
Hier geht es nicht um die Arbeit am Hochseil, hier geht es um den Balanceakt im Gemüsegarten. Es kann so einfach sein: Ein Strauch ist ein Strauch ist ein Strauch...
In dieser Einfachheit und Klarheit sind sie mächtig und laut. Da entsteht bisweilen eine Intensität, die mich in Aufregung versetzt. Das interessiert mich!
Autorin: Lisa Fuchs

Margot Zanni

Für die Eröffnungsausstellung im Kunstpavillon habe ich die Künstlerin Margot Zanni eingeladen. Sie ist für mich eine der interessantesten VideokünstlerInnen der Zentralschweiz. Mit „une touche blanche" präsentiert sie im Kunstpavillon ihre neuste Videoarbeit. In dieser vielschichtigen Arbeit setzt die Künstlerin Fragmente von historischem Film- und Bildmaterial ein und verbindet diese mit eigenen Videoaufnahmen. Wir sehen die Hände der Pianistin Miroslava über die Tasten des Flügels gleiten und folgen den experimentellen Klängen und Geräuschen wie einer subjektiven Erzählung, die uns zu unterschiedlichen Schauplätzen führt. Historische Aufnahmen aus der Zeit europäischer Forschungs- und Entdeckungsreisen in Afrika oder der Pianoforte-Fabrik C. Bechstein in Berlin setzt die Künstlerin in Beziehung zur Pianistin, die auf weissen Klaviertasten spielt, und eröffnet so den vergangenen Ereignissen eine andere, neue Leseart. In einem Mosaik von Bildern begegne ich als Betrachterin Orten mit erlebten Geschichten, die sich in einem Netzwerk eigener Erinnerungen weiterentwickeln.
Margot Zanni versteht es in ihren Arbeiten durch Zusammenfügen von dokumentarischem Material, Found Footage und eigenen Videoaufnahmen Geschichten zu erzählen, deren Bilder ungewohnte Beziehungen eingehen und neue Zusammenhänge schaffen. Der Künstlerin gelingt es, formal wie inhaltlich spannende Parallelen unterschiedlicher Bildwelten aufzuzeigen, die überraschen und berühren.
Autorin: Gabi Widmer

Anastasia Katsidis  - vom Bourbaki an die Sälistrasse

Ein ganzes Heer Lautsprecher hat Anastasia Katsidis im Garten des Kunstpavillons installiert. Frei von der Funktion, die sie optisch versprechen, die Verteilung wichtiger Mitteilungen oder Parolen zum Ungehorsam, fordern sie uns zur Hellhörigkeit auf. In der Arbeit Screamers vereint Anastasia Katsidis für ihre Arbeit kennzeichnend günstig zu erwerbende Materialien, teilweise Objekte des alltäglichen Gebrauchs, mit starken Farbakzenten. Inhaltlich weisen diese Transformationen zum Objekt oder zu Installationen Bezüge zum aktuellen politischen Geschehen oder zu den Naturwissenschaften auf.
Mit der Installation Screamers verbindet die Künstlerin die Kunsthalle und den Kunstpavillon – diese Verknüpfung spricht unter anderem für eine interessante Auseinandersetzung zwischen interessierten KünstlerInnen und Institutionen in Luzern und tritt mit tonlosen Schwingungen über die Stadtgrenzen hinaus.
Autorin: Nadine Wietlisbach